
Die Negativitätsverzerrung –
Unser Gehirn ist ein höchst erstaunliches Organ — und ein sehr vorsichtiges. Über Jahrtausende hat es sich darauf spezialisiert, mögliche Gefahren und Defizite zu erkennen. Was bedroht das Überleben? Was fehlt? Was könnte schiefgehen? Solche Fragen stehen — ohne dass wir es bemerken — im Zentrum unserer Aufmerksamkeit, und ohne unser Wissen verzerren sie die Welt. Das Problem: In der heutigen Welt sorgt diese Negativitätsverzerrung – die einst überlebenswichtig war – dafür, dass wir uns das Leben unnötig erschweren. Wir kämpfen mit Mangel und übersehen die Fülle.
Dankbarkeit und Resilienz
Hier setzt eine Haltung an, die in der Resilienzforschung als sehr wirksam gilt: Dankbarkeit. Dankbarkeit bedeutet nicht, die Dinge schönzureden. Sie bedeutet, anzuerkennen, was bereits da ist, was gelungen ist, was geschenkt wurde — statt den Blick auf das zu richten, was nicht, noch nicht oder nicht mehr ist. Diese Verschiebung der Wahrnehmung korrigiert die Negativitätsverzerrung und stärkt die psychische Widerstandskraft.
Die Bedeutung von Stressantworten
Die Forschung zeigt: Resilienz bedeutet vor allem, unnötige Stressantworten zu vermeiden. Diese Reaktionen — Flucht, Angriff, Erstarren, Kollabieren — werden vom autonomen Nervensystem ausgelöst, sobald das emotionale Gehirn etwas als bedrohlich einstuft und gehen mit Ausschüttung der Hormone Adrenalin, Noradrenalin und Cortisol einher. Je stärker die Negativitätsverzerrung, desto häufiger entstehen unnötige Stressantworten und belasten Körper und Geist. Dankbarkeit wirkt dem entgegen. Denn sie fördert realistischen Optimismus, d.h. eine leicht rosagetönte Brille, mit der wir in die Welt schauen. Mit dieser Brille, so die Resilienzforschung, lassen sich überflüssige Stressantworten reduzieren.
Eine einfache Übung – Verlust imaginieren
Stelle dir immer wieder in Alltagssituationen die Frage: Wie würde es mir gehen, wenn das nicht mehr da wäre? Der Ausblick aus dem Fenster, den du seit Jahren kennst. Der erste Kaffee am Morgen beim Lesen der Tageszeitung. Das monatliche Gespräch mit einem Freund. Unser Gehirn nimmt diese Dinge nicht mehr bewusst wahr, spart auf diese Weise Energie und lenkt den Fokus stattdessen unbemerkt auf mögliche Bedrohungen. Beim imaginierten Verlust spüren wir, wie wertvoll das vermeintlich Selbstverständliche ist. Dankbarkeit stellt sich ein und zieht stille Freude nach sich. Diese Übung lenkt die Aufmerksamkeit vom Mangel zur Fülle, korrigiert die Negativitätsverzerrung und stärkt so die psychische Widerstandskraft.